Es begann in den 60-er Jahren...
Die "Band-Age" als Teil der Szene im Siegerland lässt sich nur erklären, wenn man den Bogen spannt bis zu den Anfängen, die in der Mitte der 60-er Jahre liegen. Die Zeit der Band-Age (1975 bis 1990) basiert auf dem, was vorher war – und die heutige Szene wiederum auf dem gesamten Vorlauf. Oder man könnte auch salopp sagen: von nix kommt nix. Aber zunächst ein Buchtipp:

Buch "Tief im Westen"Herausgegeben von Sabine Flender, Uwe Husslein und Ansgar Jerrentrup erschien im Herbst 1999 im Auftrag des LandesMusikRats NRW und gefördert vom "Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport NRW" dieses Buch, das sich mit Musikszenen des Landes von 1960 bis 1990 beschäftigt. Namen wie "Grobschnitt", "Hölderlin", "Bap", "Nena" und viele, viele andere stehen oftmals für eine lokale Musikszene oder einen musikalischen Trend. Ein Kapitel des Buches ist der "Band-Age" gewidmet bzw. dem Phänomen, dass es ab Mitte der 70-er Jahre bis Anfang der 90-er Jahre im Siegerland eine außergewöhnlich aktive und attraktive Musikszene gab, die es so in dieser Form nie und nirgendwo anders gegeben hat. Christine Flender hat dieses Kapitel verfasst, sie gehörte seinerzeit zum Umfeld von "Eternity" ("No Limit").

Das Buch "Tief im Westen" skizziert wesentliche Teile davon und analysiert die Entstehung der Szene, die Motivationen der Musiker und die Bedeutung auf die gesamte christliche Musikszene in Deutschland. Ein lesenswertes Buch mit zahlreichen Abbildungen und interessanten Details! Es macht noch einmal sehr deutlich, dass die Siegerländer Szene ein interessanter und bedeutsamer Farbtupfer war in der Musiklandschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Darstellung ist sicherlich subjektiv gefärbt und an verschiedenen Stellen gäbe es durchaus auch andere Gesichtspunkte, die zu bedenken wären, aber dies schmälert nichts an der Bedeutung dieses Buches. Der Rest des Buches ist selbstverständlich ebenso in höchstem Maße lesenswert. Das Buch ist leider nicht mehr im Handel erhältlich, aber in Online-Antiquariaten wird man fündig. Bei Recherchen hilft folgende Nummer:

ISBN 3-89705-151-6.

Was war aber nun die Band-Age? Begonnen hat es 1975, als die (gerade frisch gegründete) Band Damaris Joy und das damals schon auf selbst veröffentlichtem Tonträger "verewigte" und durch zahlreiche Auftritte bekannte Duo Ute & Friedemann Rink ins Gespräch kamen und der Gedanke entstand, die damals schon reichlich vorhandenen Bands, Solisten und Musiker ins Gespräch miteinander zu bringen. Die Idee war, alle an einen gemeinsamen (Kaffee)Tisch zu bringen. Ausgesucht wurde der Himmelfahrtstag 27.05.1976.

Einladung zum ersten Meeting 27.05.1976

Einladung Meeting 27.05.1976

Man traf sich zunächst "bei den Rinks", dann gab es am 19.05.1977 einen gemeinsamen Tag (heute würde man das Workshop oder Symposium nennen) in der Siegener Erlöserkirche mit Musikbeiträgen und einer Podiumsdiskussion, später reichte der Platz nicht mehr aus und "Wahlers Laube" avancierte zum "Insider-Treff".

Artikel aus CoGo Nr. 2 Der Name "Band-Age" war übrigens auch "geklaut" - Anfang und Mitte der 70-er Jahre gab es eine solche Initiative im sauerländischen Gebiet (Hohenlimburg, Lüdenscheid, Plettenberg). Sie diente als Namensgeber und Anregung für die Siegerländer Szene.

Artikel Cogo Nr.2

Ab 1978 veranstaltete die Band-Age eigene Konzerte unter dem Begriff "Gospel-Nights", die ihren Höhepunkt fanden im zweitägigen Jubiläumsfestival 1985 in der Eisbahn in Netphen. In zwei Videos dokumentiert ist das Konzert der Mehler-Field Band mit special guest Terry Clark. In YouTube lassen sich die Videos finden wenn man "Mehler-Field-Band auf Europa-Tournee 1980" eingibt.

Mehler-Field Band + Terry Clark

Die "Gospel-Nights" waren eigentlich den deutschen Interpreten gewidmet, aber die Band-Age wirkte bei mehreren internationalen Konzerten im Hintergrund mit. Andrae Crouch & The Disciples nebst Leon Patillo und 2nd Chapter of Acts beispielsweise wären sonst nie in der Siegerlandhalle in Siegen aufgetreten… Ende der 80-er Jahre waren dann die Veranstaltungskosten (Mieten, GEMA, Steuern usw.) so erdrückend, dass die Konzerte nicht mehr Kosten deckend sein konnten (in Relation zu den damals erzielbaren Eintrittspreisen). Auch der Besucherzuspruch ließ spürbar nach.

Die "Band-Age" war ein loser Zusammenschluss der frommen Musiker im Siegerland. Es ging nicht darum, in irgendeiner "offiziellen" Form zu agieren oder einen "exklusiven Club" zu gründen, sondern einfach darum, im Kontakt miteinander zu sein, sich auszutauschen und gegenseitig zu helfen. Und genau dies ist über lange Jahre hinweg geschehen und hat enorme Auswirkungen gehabt auf die Szene in ganz Deutschland.

Hier ein paar Namen aus der "Band-Age":

Ute & Friedemann Rink (später "Rink Family")
Werner Hucks
Hartmut Nitsch
Rolf Sprave
Dieter Falk / Folker Albrecht
Damaris Joy
Cheerful Message
Eternity (später No Limit)
Anastasis (später Avocado)
Confession of Faith
Baustein (später Jordan Wells Band)
Harmony Academy
Calvary Triumph
Sacred Sounds of Grass
SaBoo
Dimanche
Pitch & Toss
Grace
Puzzle
Six to Nine

Christliche Musik hatte im Siegerland Tradition. Viele SängerInnen der legendären Chöre "Christus-Sänger" und "Jugend für Christus Chor" kamen aus dem Siegerland, das ebenso legendäre "Fietz-Team" war eine Band aus Siegen, "Joy Singers", "Pro Me", "Doctrine Jesus", "Heralds of Joy" und "Team of Message" sind weitere Namen aus der Urzeit christlicher Popmusik und der Region zugleich. Die Initialzündung im Siegener Raum war ein Konzert der schottischen Band "The Heralds" mit dem gerade gegründeten "Fietz-Team" 1965 in der "Bühne der Stadt Siegen", ein Veranstaltungsort, in dem seitdem zahlreiche fromme Rockkonzerte stattgefunden haben und der lange Jahre mit der Siegerländer Szene identifiziert wurde. Der junge Siegener Berufschullehrer Günter Klempnauer war es, der dieses Konzert organisierte, weil er seinen Schülern einen "modernen" Religionsunterricht bieten wollte. Zeitgleich zu dem Heralds-Konzert entstand 1965 eine Veranstaltungsreihe, die unter dem Namen "OAS - Offene Abende Siegen" die sehr lange Zeit von über 35 Jahren ein frommes Gegengewicht zu den Karnevalsveranstaltungen bildete und in ihren besten Zeiten an drei Tagen über 10.000 junge Menschen in die Siegerlandhalle und die "Bühne" zog.

Musical "Hair" 1972 in Siegen

Dies gehört mit zur Geschichte bzw. zum Umfeld der damaligen Szene. Am 2. Februar 1972 berichtete die Siegener Zeitung vom Ausstieg dreier Ensemble-Mitglieder des Musicals "Hair", das sechs ausverkaufte Abende lang in der Siegerlandhalle gastierte. Die Heilsarmee bot den Aussteigern Zuflucht. Einer der Aussteiger war der Schweizer Sänger Markus Egger, der später in Hannover die Band "Semaja" gründete.

"Hair" in Siegen, 1972

Schon vor dem Konzert von "The Heralds" im Jahre 1965, die zu ihrer Zeit fromme Songs im flotten Beat (genauer gesagt: ziemlich reinrassigen Skiffle und Dixieland…) spielten, gab es hier und dort junge, aufstrebende Menschen wie Siegfried Fietz, die anfingen, eigene fromme Songs zu schreiben und eine Band zu gründen. Zugleich gab es junge Redakteure wie Erhard Diehl und Hans Herbold im ehrwürdigen Wetzlarer "Evangeliums-Rundfunk" (ERF), die den Auftrag erhielten, Sendungen für junge Menschen "im Sound der Zeit" zu gestalten (daraus entwickelte sich später die "Junge Welle"), aber in den ERF-Archiven keinerlei Musik fanden, die junge Leute hören wollten. Erhard Diehl war es, der auf einem Schottland-Besuch die Band "The Heralds" entdeckte und spontan zu Konzerten in Deutschland einlud. Hans Herbold holte 1972 das junge nordhessische Gesangsduo Andreas Malessa und Arno Backhaus erstmalig zu einer Produktion fürs erf-junge-welle-Archiv ins ERF-Studio, was Siegfried Fietz (seinerzeit Produzent bei "Hermann Schulte Wetzlar") dazu motivierte, die erste LP mit "Arno & Andreas" aufzunehmen. Hans Herbold, Arno Backhaus, Andreas Malessa, Gerd und Angelika Fries gründeten etwa 1974 "gospelcontact", ein Konzertbüro und Plattenvertrieb im Haus des Ehepaares Fries (die seinerzeit frisch vermählt aus dem Siegener Stadtteil Eisern nach Wetzlar umgesiedelt waren…). Dort entstand auch die erste christliche Musikzeitung in Deutschland namens "CoGo" (die abgekürzte Umdrehung von GospelContact").

Als diese Zeit zu Ende ging, übernahm 1978 die Plattenfirma "Blue Rose" den "Word"-Vertrieb und auch "gospelcontact", Antje Dücker wurde eigens für die Betreuung von "Gospelcontact" angestellt. Die Zeitschrift "CoGo" wurde von einem anderen Verlag mit dem Namen "Pack's" weiter geführt. "Blue Rose" war eine Idee von Josef-Bertram Giese, seinerzeit Manager von Inge Brück und Nils Kjellström, Produzent beim ERF, der mit den beim ERF kennen gelernten Interpreten neue Wege gehen wollte. Das Resultat war beeindruckend: alleine im Jahre 1979 veröffentlichte "Blue Rose" 11 LPs! Nicht zu vergessen auch eine bundesweite Tournee von Inge Brück und "Deliverance", die seinerzeit für großes Aufsehen sorgte - zumindest in "frommen Kreisen". Aber Musik hat auch mit Geld zu tun, und Musiker sind bekanntlich nicht immer die besten Geschäftsleute. Pioniergeist und Aufbruchstimmung alleine reichen nicht aus, auch die Zahlen stimmen zu lassen. 1981 übernahm die 1979 gegründete Plattenfirma "pila" (sozusagen ein dem Haus Hänssler zugeordnetes "Familienunternehmen" - Angelika Rittinghaus ist eine Hänssler-Tochter...) das musikalische Erbe der bankrotten Firma "Blue Rose". "gospelcontact" kam unter die Fittiche der Firma "litera" von Thomas Lardon, blühte kurz auf und verschwand dann recht bald von der Bildoberfläche...

Nach dem Weggang von Siegfried Fietz von "HSW" (Hermann Schulte Wetzlar) und der Gründung von "Abakus" waren dem HSW-Label "Lord Records" ein wenig die Interpreten weggelaufen, wie z.B. Arno & Andreas, Jan Vering, theophiles... Andererseits entstand durch die Anstellung von Mike Weller (Ex-Keyboarder von "Wir Leute", u.a. die Begleitband von Jürgen Werth; Bruder des Ex-Fietz-Team-Pianisten Harald Weller) dort während der Zeit von Blue Rose ebenfalls wieder neues Leben. Heike Tittmann, Rolf Sprave, trintitatis, Ute & Friedemann, Rolf & Henry, G. Aaron (Kasühlke) und andere wandten sich dem nun so genannten Verlag Schulte & Gerth zu (ebenfalls ein "Familienunternehmen": Klaus Gerth war der Schwiegersohn von Hermann Schulte). Zu Rolf Sprave wäre noch zu erwähnen, dass er eigentlich eine Sonderrolle spielt, weil seine Produktionen zeitlich zwischen diese Umbruchzeiten fielen. Für ihn gab es seinerzeit auf dem Markt keinerlei Alternative zu Lord Records. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Detail, dass Dieter Falk seine ersten Gehversuche im Studiobereich just mit den beiden Rolf Sprave-Produktionen unternehmen konnte (beide lebten im Siegener Stadtteil Geisweid, waren also quasi Nachbarn...). Die Reihenfolge bzw. der Ablauf der Ereignisse ist durchaus bemerkenswert: Rolf Sprave gab einem unbekannten jungen Talent namens Dieter Falk die Chance, erste Studioerfahrungen zu machen, die dieser dann als Entrée bei Blue Rose nutzen konnte, was dann in der Folge wesentlich zum Boom dieser Plattenfirma und zur Belebung der Szene beigetragen hat...

Dies war der Vorlauf, das Umfeld und die Zusammenhänge, in denen die Interpreten der Siegener "Band-Age" Ende der 70-er Jahre ihre ersten Schritte ins musikalische Geschäft wagten. Über alle - heute würde man es auch so nennen (früher war das nicht legititim) - kommerziellen Grenzen hinweg stellte man Querbezüge unter den Aktiven her und suchte nach dem, was als "gemeinsamer Nenner" gelten konnte. Dass die Bands überwogen, das war nicht mehr als ein Zeitphänomen - die erwähnten Solisten und Solomusiker waren genauso Teil der Band-Age. Zu erwähnen ist auch der Namen Aufwind; einige Mitwirkende dieses "Star-Chors" (überwiegend mit Blue Rose-Interpreten) und die Technikabteilung waren Ende der 70-er Jahre in Siegen "stationiert". Dies ist der Grund, warum Leute wie Jan Vering, Hartmut Nitsch und Werner Hucks im Siegerland ansässig geworden sind.

https://de.wikipedia.org/wiki/Aufwind_(Chor)
https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Nitsch_(Musiker)
https://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Vering

Nicht zuletzt sind aus dem lokalen Siegener Umfeld auch Namen wie Jan Vering zu erwähnen, der via "Aufwind" die zentrale Lage des Siegerlandes für seine zahlreichen Konzertreisen sehr zu schätzen gelernt hatte und Günter Klempnauer, der zahlreiche Bücher zum Thema christliche Musik und Kultur veröffentlicht hat (Siegfried Fietz gehörte übrigens zu Günter Klempnauers Kreis von Leuten, die Gottesdienste für Berufsschüler vorbereiteten. Ohne die Förderung seines Religionslehrers Günter Klempnauer hätte Siegfried Fietz wohl kaum eine künstlerische Karriere eingeschlagen). Fairerweise (...) muss man aber auch erwähnen, dass es im Siegerland auch Autoren wie Ulrich Bäumer gab, die Bücher gegen jede Art von Rockmusik schrieben... So sehr es auch Nerven gekostet hat - auch dies hat dazu beigetragen, dass sich die zeitgenössische christliche Musik etablieren konnte.

Der Name Wolfgang Zöller darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Seine unter dem Kürzel WOZ veröffentlichten Veranstaltungsberichte sorgten damals für Aufsehen, denn seine "Kritik" war stets vernichtend und er machte vor nichts und niemandem Halt. Ein Beispiel dafür sei ein Konzert des "Jugend für Christus Chor" nebst Band und Heike Tittmann & Band in der Siegerlandhalle aus dem Jahre 1981, die Leserzuschrift war seinerzeit übrigens absolut typisch für die Generationen, die nichts mit den Neuerungen anfangen konnten.

JfC-Chor mit WOZ-Berichterstattung Leserzuschrift zum JfC-Konzert

"JfC-Chor"/WOZ 1981
Leserzuschrift, 1981

Es war nicht nur das Musikalische, das die Arbeit der Band-Age ausmachte. Es gab auch eine permanente und intensive inhaltliche Diskussion untereinander. Über mehrere Jahre hinweg fanden im kleinen Kreis auch Gebetsabende statt, die von Rolf Sprave, Henning Klöckner, Hartmut Nitsch und Antje Dücker geleitet wurden (Antje Dücker kam oft in ihre Heimatstadt Siegen, um ihre Mutter zu besuchen). Die charismatischen Einflüsse (oder besser gesagt: Einflussnahmen) mussten sich im Umfeld des trockenen Siegerländer Pietismus bewähren und verloren sich dann (wg. Umzug) später in Richtung West-Berlin und New York... Nicht zu verkennen ist aber, dass sich innerhalb der Band-Age ein distanziert-qualifizierter Umgang mit der pietistischen Tradition entwickelte, und genau für diese Auseinandersetzung sind die verschiedensten Einflüsse hilfreich und nützlich gewesen.

Es gab eine Philosophie in der Band-Age, die in einem Bild sehr deutlich zum Ausdruck kam: es hat vor uns Leute gegeben, die in ihrer Zeit christliche Musik gemacht haben und es wird nach uns Leute geben, die dasselbe tun. Es ist wie ein Staffellauf, in dem wir "unsere Etappe" so gut wie möglich gestalten.

Nichts anderes hat die Band-Age gemacht - dass daraus so viel entstanden ist, das ist nicht unbedingt unser Verdienst sondern ein Geschenk, über das man auch heute noch staunen kann.