Editorial (2003)
Eine WebSite mit Editorial? Etwas ungewöhnlich, aber vielleicht doch lesenswert, weil man sich im Editorial gedanklich etwas von dem "entfernen" kann, was in den mittlerweile heftig vielen Seiten im Stil eher berichtend darzustellen ist. Dies ist der zweite Editorial-Text. Der erste Text wurde im Januar 2001 geschrieben und damit in einer Phase, in der wir uns in einer allgemeinen Euphorie über unser Comeback wiederfanden. Anderthalb Jahre später ist man um viele Erkenntnisse reicher...

Schon das Jahr 2001 verlief nicht so, wie wir es aufgrund der überaus zahlreichen und begeisterten Resonanzen in 1999 und 2000 hätten erwarten können, auch das Jahr 2002 erfüllte letztlich nicht das, was sich bei uns durch die vielfach hörbare "Stimme des Volkes" als Erwartungshaltung aufgebaut hatte und aufbauen musste. Überall und reichlich wurden uns begeisterte Äußerungen zugetragen - wir gewannen den Eindruck, dass man sehnlichst darauf gewartet hätte, uns wieder "im Rennen" zu sehen und wir mehr oder weniger da weitermachen würden, wo wir 1988 aufgehört hatten. Dem war aber nicht so, die Konzertanfragen trafen eher spärlich ein. Auch in 2003 gestalteten sich die Dinge eher mühsam und die Perspektive für die kommenden Jahre sieht momentan auch nicht so aus, als ob alles von alleine laufen würde. Im Gegenteil: Es ist wieder Pionier- und Basisarbeit angesagt, sozusagen der lange Weg durch die Gemeinden und Dörfer. Wir sind froh, dass wir in den Jahren 2002 und 2003 die ersten Schritte auf diesem Weg machen konnten.

Frust? Ja - und Nein. JA, weil uns der eklatante Gegensatz erschreckt zwischen der positiven Erwartungshaltung des Publikums und den tatsächlich realisierten und realisierbaren Konzerten - NEIN, weil wir in unseren Konzerten echte Begeisterung erleben und sich für viele Besucher der Kreis tatsächlich schließt von Gestern ins Heute. Wo immer DJ spielt - für viele Leute geht im Konzert "die Sonne" auf. Sie fühlen sich in ihre Jugendzeit versetzt und zugleich in ihrer Gegenwart angenommen und berührt. Und dann tragen sie die "Botschaft" ins Land, dass es wieder eine Band gibt, die was zu bieten und zu sagen hat. Und darauf hat man in der Tat viele Jahre lang gewartet!

So sehr wir wenig davon begeistert sind, dass die Nachfrage nach Konzertterminen sehr verhalten ist, so sehr hilft es uns aber auch, nicht wieder in die alten (schlechten) Gewohnheiten zurück zu fallen. Es ist paradox, aber wir sehen es einfach so: Wenn wir jetzt in jedem Jahr mit 10 oder 15 Terminen ausgebucht wären (mehr Termine kann es eh nicht geben), dann müssten wir uns keine Gedanken machen, d.h. wir fühlten uns wichtig, begehrt, beliebt und bestätigt - und würden dann faul, eingebildet, nachlässig und unkreativ. Wir müssten uns nicht mehr anstrengen und würden aufhören, perspektivisch zu denken und zu arbeiten. Die momentane "Schieflage" zwischen dem, was möglich wäre und dem, was tatsächlich ist, bietet uns Raum für Experimente, für das Ausprobieren neuer Wege, für ein Herantasten an das, was zukünftig zu unserem Profil gehören kann.

Beispiel gefällig? Vor einem Monat haben wir hier in unserer Heimatstadt ein Konzert gegeben im Rahmen einer säkularen Open Air-Konzertreihe, die während der Sommermonate von Gastronomen mitten in der Siegener Altstadt auf dem Marktplatz aufgezogen wird. Jeden Mittwochabend spielen dort Bands, d.h. meist Cover-Bands (oftmals Profi-Musiker aus der Frankfurter / Mannheimer Szene), die bis auf wenige Ausnahmen stilistisch und in Sachen Songs mehr oder weniger austauschbar sind. Wenn das Wetter prima ist, dann finden sich dort 2000 bis 2500 Besucher ein, bei absolutem Spitzenwetter auch noch mehr. Wie bei solchen Events üblich spielt das Kommunikations- und Flüssigkeitsbedürfnis des Publikums eine sehr wichtige Rolle - die musikalischen Beiträge werden meist eher am Rande registriert, es sei denn, die Band ist wirklich hörenswert bzw. versteht es, das Publikum einzubinden. Dort also ein Konzert mit eigenem Songmaterial zu geben, das zudem eher für ein eigenkonzertantes Umfeld geschrieben ist, das verbietet sich eigentlich. Und wenn man inhaltlich und kommunikativ nur "was Frommes" zu bieten hat, dann hat man eigentlich verloren bzw. man sollte sich mit dieser Mischung nicht auf das Glatteis begeben, das die Öffentlichkeit nun mal darstellt. Man schadet nur sich und anderen... Trotzdem - die Sache war ein voller Erfolg. Die Siegener Zeitung berichtete kurz und bündig:

Damaris Joy bei "Mittwochs in Siegen", Juli 2003

"Damaris Joy gestalteten das jüngste "Mittwochs in Siegen"-Event mit geradlinigem Rock – und unterhielten ihr Publikum in der proppenvollen Oberstadt damit richtig gut. An diesem lauen Sommerabend hätte die Stimmung rund um den Marktplatz kaum besser sein können. Dieses Konzept der City-Belebung geht jedenfalls auf. Mehr davon!"

Einen weiteren ausführlicheren Pressebericht kann man in der Seite zu diesem Konzert nachlesen (im Menüpunkt "Archive"). Die wenigen Zeilen aus der "SZ" machen deutlich, wie das Konzert auf die Besucher gewirkt hat: Es war eines der bestbesuchten Konzerte der Reihe "Mittwochs in Siegen", es war allerbeste Unterhaltung, weil sich eine kompetente und gut eingespielte Band mit markanten eigenen Songs präsentierte, und es war eine richtige Konzertstimmung zu spüren, weil das Publikum zuhörte, ohne dass man es dazu auffordern musste. Die Anmerkung "mehr davon" ist - wenn man die lokale Situation kennt - ein Riesenkompliment für Damaris Joy, denn es war in diesem Jahr einer frommen Band vorbehalten, den Maßstab für die Bewertung sämtlicher 15 Konzerte zu liefern. Eine fromme Band setzt den Standard - wo passiert das schon?

Wir wollen nicht verschweigen, dass wir bei der Sache auch ziemlich viele "Schmetterlinge im Bauch" hatten und uns keineswegs sicher waren, dass alles funktionieren würde. Aber wir haben es gewagt und wagen dürfen, weil wir uns heute die Freiheit dazu nehmen können. Von den weit über 2000 Besuchern bestand übrigens ein Drittel aus Publikumskreisen, das "sonst nicht da ist" (wie die Veranstalter es so schön sagten). Mit anderen Worten: es waren ungefähr 800 bis 900 Leute aus frommen Kreisen anwesend, die sich ebenfalls uneingeschränkt positiv zum Konzert äußerten. Es waren also alle angetan und zufrieden, und das trotz extremster Gegensätze! Nicht, dass wir nun nur noch solche Konzerte spielen wollten - für uns war die Erfahrung wichtig, dass man sich in einer säkularen Umgebung behaupten kann und dass es möglich ist, auch ohne Ansagen (zwei dezente inhaltliche Andeutungen) vermitteln kann, wofür man steht. Früher hätten wir solche Erfahrung gerne machen wollen, aber wir waren zu sehr gefangen "im frommen System". Heute haben wir die "Narrenfreiheit", diese Wege ausprobieren zu können und uns neuen Herausforderungen stellen zu können.

Trotzdem wäre es uns eigentlich lieber, dass wir uns nicht so "verrenken" und "aus dem Fenster lehnen" müssten. Wir würden viel lieber das Konzert im Bürger- oder Gemeindehaus oder das knuffige kleine Sommer Open Air-Konzert hinter dem Pfarrhaus spielen, oder in einer Musikkneipe oder Jazz-Club 150 Leuten einen unvergesslichen Konzertabend bereiten. Das ist "unsere Kragenweite"! Wir könnten das auch alles selbst arrangieren, aber da wir aus unserem Selbstverständnis heraus unsere Konzerte unmittelbar mit Leuten vor Ort (Gemeinden, Gruppen, Initiativen) verknüpfen, blicken wir derzeit in die dezente Leere unseres Briefkastens, weil es (noch) wenig Nachfrage für unser Angebot gibt. Zugegeben, wir sind keine "Jugendband" und wollen es auch gar nicht mehr sein oder werden - unser Publikum beginnt bei 30 Jahren und hört bei 60 Jahren noch lange nicht auf. Wir nennen unser Angebot "(christliche) Rockkonzerte für Erwachsene" - und stellen fest, dass die Gemeinden auf diesem Ohr völlig taub sind. Alles wird nur in "die Jugend" investiert, und das des öfteren völlig kontur- und ziellos. Offensichtlich hat man eine ganze Altersklasse völlig vom Bildschirm entfernt, und weil man sie nicht sieht (nicht sehen will), muss man sich natürlich auch keine Gedanken um sie machen.

Sorry, es mag vielerorts anders sein, aber auf uns wirkt die momentane Situation in den Gemeinden mit ihrem "Marsch rückwärts" keineswegs motivierend. Und die "schweigende Mehrheit" sieht das auch so. Stoppt doch endlich diese Rückzugsbewegungen! Bietet doch mal was Adäquates für die Klientel Erwachsene! Macht euch doch mal darüber Gedanken, wie ihr diejenigen, die "mangels Angebot" seit über 15 Jahren nicht mehr ein christliches Konzert besucht haben, wieder für euch interessieren könnt! Richtet doch endlich euren Blick auf diejenigen "Ehemaligen", die nun wieder Interesse daran haben, sich mit ihrer (frommen) Biographie auseinanderzusetzen und für jede Gelegenheit dankbar sind, diese Auseinandersetzung angstlos führen zu können!

Natürlich ist uns klar, dass wir die Dinge nicht allein ändern werden, wir haben auch schon lange nicht mehr das "Sendungsbewusstsein", alles umkrempeln zu wollen. Wir wollen und werden nur mit gutem Beispiel voran gehen und versuchen, das Thema "Rockmusik für Erwachsene" im gemeindlichen Umfeld zu verankern. Wenn 2006 wieder ein "Missionarisches Jahr" stattfindet und damit tausende von Veranstaltungen das Land überschwemmen, dann wäre es mehr als schade, wenn die Altersklasse 30+ | 40+ | 50+ musikalisch ausgegrenzt bzw. nur mit Schmalspur bedient würde. Wenn man das Wort "missionarisch" ernst nimmt, dann darf dies schlicht und einfach nicht passieren! Gerade jetzt ist es für die Gemeinden dringend geboten, die "geburtenstarken Jahrgänge" (1950 | 1960) wieder neu in den Blick zu nehmen und so zu "fischen", wie es der Klientel angemessen ist.

Und weil wir in unseren Konzerten reichlich mit genau dieser Klientel zu tun haben, blicken wir mit großer Freude in die Zukunft, denn wenn man dieses "Fass" anstechen kann, dann wird man sich vor Arbeit nicht mehr retten können. Und genau das wollen und werden wir tun, und wir werden auch Leute vor Ort finden, die diese Perspektive ebenfalls für sich entdeckt haben. Damit kommen wir gewiss nicht "in die Charts" (das muss man auch nicht unbedingt...), aber wir betreiben "Reichgottesarbeit", und Tätigkeiten an dieser "Baustelle" sind weitaus perspektiver und nachhaltiger als ein mit viel Geld und persönlichem Verrenken erkaufter Erfolg.

Nicht dass es allen "im Showbiz" so ergehen muss wie Ken Janz, dessen erschütterndes Buch vor wenigen Wochen erschienen ist und dessen Lektüre man nur wärmstens empfehlen kann. Aber eines gilt heute genau so wie früher: Jeder wird seinen Preis zahlen für das, was er tut. Deshalb wählen wir unsere "Baustellen" selbst und sind zuversichtlich, dass dies Anklang finden wird.

Unser Blick geht in das Jahr 2004, das in Sachen Konzerten möglicherweise einen deutlichen Schritt nach vorne gehen wird. Für unser Jubläumsjahr 2005 (Damaris Joy feiert 30-jähriges Bühnenjubiläum!) sehen wir manchen "feierlichen Ereignissen" (eine neue CD, eventuell eine DVD, diverse Jubiläumskonzert/e) mit großer Vorfreude entgegen. Und für das Jahr 2006, das missionarische, erhoffen wir uns ein "Ankommen" unseres Anliegens, dass sich die Gemeinden des reiferen Rockpublikums annehmen und mit Konzerten den ersten Einstieg wagen in die Ausrichtung auf dieses "vergessene Publikum". Es wäre verhängnisvoll, wenn 2006 wieder nur die alten Rezepte aufgewärmt würden.

Hans-Martin Wahler

10.08.2003


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