Clemens Bittlinger & Damaris Joy
18.-29.11.1987 | "Labyrinth"

Plakatmotiv

Am Anfang hieß die Tournee bei uns intern immer "Band contra Liedermacher", aber das sollte es natürlich definitiv nicht werden. Was aber können Band und Liedermacher mit ihren unterschiedlichen textlichen und musikalischen Ansätzen zusammen gestalten? Wie löst man diese Gegensätze sinnvoll auf und schafft etwas Neues und Einzigartiges?

Es war Clemens Bittlinger, der Anfang 1986 mit der Frage auf uns zu kam, ob wir uns nicht eine gemeinsame Tournee vorstellen könnten. Und er regte zugleich an, den gemeinsamen Part besonders zu gestalten und bot an, das Konzept und die Texte zu liefern. Da konnten wir natürlich nicht Nein sagen und so entstand das kompakte Rock-Oratorium "Labyrinth", das aus mehreren Songs bestand, die szenisch gestaltet werden sollten. Darüber hinaus gab es drei Wortbeiträge (Monologe) und abgeschlossen werden sollte das gemeinsame Programm durch je einen eigenen Song von ihm und von uns als miteinander gestaltete Vorträge.

Zunächst mussten die Liedtexte aber erst einmal vertont werden. Diese Aufgabe übernahm hauptsächlich Frieder Jost. Ein Song wurde von Helmut Jost vertont und ein Song wurde von beiden musikalisch umgesetzt. Dann mussten Utensilien für die szenischen Darstellungen gesucht werden, ein Programmheft sollte entstehen und daneben gab es auch noch die "normale" Organisation einer Tournee von 7 Musikern mit 11 Stationen in 12 Tagen. Es war eine Menge Arbeit zu erledigen. Am 18. November war es dann so weit. Die Welt-Uraufführung von "Labyrinth" fand in Seligenstadt statt… ;-)

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"Ihr habt heute die Gelegenheit zu hören, was in insgesamt 11 Konzerten in Westfalia, Hessen, Franken und Schwabenland vorgestellt wird und in monatelanger Vorbereitung von uns 'auf die Beine gestellt' worden ist. Das Ergebnis nennt sich 'Labyrinth' und ist keineswegs ein neues Gesellschaftsspiel oder eine neue Straßenkarte, sondern ein textlich und kompositorisch kompaktes Rock-'Oratorium', das in verschiedenen Szenen und pointierten Sequenzen Stellung bezieht zu aktuellen Zeitfragen".

So schrieb das Vorwort des Programmhefts und im Einleitungsmonolog des Rock-Oratoriums hieß es:

"Heutzutage ist dieses Labyrinth (als Symbol für das Leben der Menschen mit all seinen Irrwegen und Sackgassen) wohl in Vergessenheit geraten. Darin liegt jedoch die Tücke dieses Bauwerks: Indem es uns auf immer neuen Irrwegen vorgaukelt, wir wären bald am Ziel und kämen gut voran. Unsere Zeitgeschichte offenbart klarer denn je zuvor, wie hilflos und ahnungslos wir uns entweder an die Sackgassen gewöhnt haben, oder ohne wirkliche Perspektiven auf der Stelle treten".

Labyrinth-Programmheft (nix Download)



"Labyrinth" bestand aus 11 Songs und Textbeiträgen :




• Einleitung (Monolog)
• Der Optimist
• Verirrt
• Erster Irrweg | New Age
• Zweiter Irrweg | Ideologisierte Wissenschaft
• Die Utopien verblassen
• Dritter Irrweg | Gewalt
• Gewalt ist keine Lösung
• Meditation (Monolog)
• Labyrinth
• Was ist das für ein Weg? (Monolog)

Als Abschluss folgten

• Wieder zurück
• Schritte wagen

Hier das 16-seitige Programmheft zum Nachlesen:

Seite 16+01 (Außenseiten)
Seite 02+03
Seite 04+05
Seite 06+07
Seite 08+09
Seite 10+11
Seite 12+13
Seite 14+15

Der Besucherzuspruch der Tournee war regional recht unterschiedlich. Möglicherweise konnten viele im DJ- oder CB-"Lager" nicht so recht einschätzen, wie das mit Liedermacher und Band funktionieren würde. Es war damals durchaus bekannt, dass nicht jeder, der auf Liedermacher-Musik steht, auch gerne einer rockigen Band zuhört (und umgekehrt). Zudem gab es die Situation, dass das Highlight des Projekts ("Labyrinth") im Vorfeld nicht wirklich beworben werden konnte (Werbematerialien, Presse), einfach weil es sehr spät Kontur annahm. Erst im Juni 1987 lagen die Texte zur Vertonung vor.

Das Programm wurde vor Ort trotzdem durchgängig positiv aufgenommen, weil es eindrucksvoll anders war und neue Wege ging. Die szenische Umsetzung des Projektes hatte zweifelsohne Lücken. Daran konnte auch der Verfolger nichts ändern (ein Spotlicht) und ein paar weiße Vorhänge – es fehlte eine Lichtanlage und die Arbeit eines Regisseurs. Da waren Liedermacher und Band trotz aller eigenen Kompetenzen an ihre Grenzen gekommen. Mehr ging zum damaligen Zeitpunkt schlicht nicht. Hier zwei Bildmotive aus dem Konzert in Bonn (weitere Bilder finden sich in der Galerie):

Klick mich riesengroß... Bild vergrößern

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Von Konzertberichten erwartet man gemeinhin, dass sie einen Einblick vermitteln in das, was in einem Konzert passiert ist und die vorliegenden Berichte sind in der Tat "anders". Auch für Berichterstatter und Kommentatoren war es eine Herausforderung, dem Rock-Oratorium gerecht zu werden. Dies ist unterschiedlich gelungen, aber die Vielfalt der formulierten Eindrücke und der Zitate erlaubt einen außergewöhnlichen Einblick in das, was in den 11+1 Konzerten zu hören war. Niemand hat die Absicht (...), sämtliche jemals zu Damaris Joy veröffentlichten Presseartikel auszukramen, aber für dieses Projekt ist es ausgesprochen interessant, das alles noch einmal im originalen Wortlaut zu lesen. "11+1"? Ja, es gab noch ein weiteres Konzert mit dem "Labyrinth"-Programm. Am 12. Dezember 1987 wurde es auf der Christmas Rock Night in Ennepetal aufgeführt.

Alle Konzertberichte zur Tournee und Christmas Rock Night (CRN)

Der mit Abstand beste Artikel zur Tournee wurde von der Zeitschrift Pack's! veröffentlicht. Thomas Beinhauer hatte uns an einem der Konzertorte im Frankenland interviewt und definitiv "die richtigen Fragen" gestellt. Als Einleitung des zweieinhalb-seitigen Artikels schrieb er:

Gipfeltreffen – "Band contra Liedermacher?"

Ganz so wichtig wie das sowjetisch-amerikanische Gipfeltreffen in Washington ist die Sache sicherlich nicht, aber eine kleine Sensation ist es schon, wenn Deutschlands singender Dauer-Tour-Ist Clemens Bittlinger, der sonst eher für leisere Töne bekannt ist, sich zusammen mit Deutschlands christlichem Power-Orchester Nr. 1, Damaris Joy, auf Tournee begibt, und zwar nicht etwa im Sinne von Vorprogramm und Top-Act, sondern gleichberechtigt und gleichzeitig. Zu dieser fruchtbaren Symbiose kam es im November bei einer 11-Städte-Deutschland-Tournee, deren Anlaß die Präsentation des gemeinsam erarbeiteten Rockoratoriums "Labyrinth" war. Dabei war es das erklärte Ziel der Musiker, die gemeinhin als conträr empfundenen Begriffe "Band" und "Liedermacher" aus ihrer eingefahrenen Definition herauszubrechen und etwas Neues zu schaffen, was mehr ist als die Summe seiner Elemente. In der Tat gelang es Clemens Bittlinger und Damaris Joy mit diesem auf dem christlichen Markt bislang konkurrenzlosen Projekt, die jeweils individuellen Ausdrucksmöglichkeiten des Liedermachers und der Band durch die Zusammenarbeit erheblich zu steigern. (…)


Labyrinth-Interview (alle 3 Seiten nebeneinander)

Seite 1
Seite 2
Seite 3

Schon von Anfang des Projektes an war geplant, eine zweite Runde von "Labyrinth" folgen zu lassen im April 1989, aber da es Damaris Joy dann nicht mehr gab, wurde der Kreis der Akteure personell ergänzt durch David Plüss am Piano und Beate Ling-Zappel am Gesang sowie Gerald Zappel für die Tontechnik und Jens von Heyden für Licht und Logistik. Um die szenische Umsetzung und die Regie kümmerte sich Peter Klüger. Seitens Ex-Damaris Joy waren alle dabei außer Hans-Martin Wahler. Auch die Tontechnik von Damaris Joy war nicht mehr Teil des Projektes, dafür jedoch der Truck, den Helmut Jost seinerzeit erworben hatte, um ihn für seine Musikprojekte einzusetzen oder für Tourneeprojekte zu verleihen. Die Songliste blieb identisch. Lediglich "Wieder zurück" (Jost) wurde ersetzt durch "Von Mensch zu Mensch" (Bittlinger). So sahen das Programmheft, Plakate und Handzettel in 1989 aus:

Labyrinth-Programmheft, 1989

Fazit: Das Projekt "Labyrinth" hatte was, aber um es zu einem Erfolg zu machen, hätten die inhaltlich relevanten Komponenten früher existent sein müssen, um deutlich mehr Zeit und Aufmerksamkeit in die Umsetzung investieren zu können (Licht, Dekoration, Choreographie, Dramaturgie). Musikalisch, tontechnisch, organisatorisch und werblich war das sicherlich alles in Ordnung, aber ein "Oratorium" besteht definitiv aus mehr als Musik…

Andererseits hat es auch keine dritte Labyrinth-Tournee mehr gegeben, weil mehr Aufwand logischerweise auch mehr Kosten bedeutet und alles durch die Abendkasse finanziert werden muss. Dieses Problem hatte sich schon bei "unserer" Tournee angedeutet. Die wenigsten Orte konnten Kosten deckend wirtschaften, die meisten mussten Geld zuschießen, nur an zwei Orten gab es einen Überschuss. Und das trotz aller Bemühungen unserseits, die Kosten im Rahmen zu halten!

Das Labyrinth-Projekt war definitiv eine interessante Erfahrung und in seiner Weise ein Novum in der Szene. Es gab ja durchaus auch andere Oratorien und Musicals. Aber stets war das Thema Finanzierung aller Kosten bei den Großprojekten schwierig und zeigte auch andernorts deutliche Grenzen auf. So manche Großtournee hinterließ ein Loch von mehreren tausend D-Mark, und das nicht nur bei den Tournee-Veranstaltern.

Insofern machte der Ansatz von Clemens Bittlinger und Damaris Joy, sozusagen "mit Bordmitteln" ein solches Programmangebot zu schaffen, durchaus Sinn. Wenn man den Weg hätte gemeinsam weitergehen können (eine LP/CD war geplant und es sollte mehr Konzerte im Kulturbereich geben), hätten sich gewiss neue Perspektiven ergeben.



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